FAQ zu den Vorwürfen im Turnen
Seit einiger Zeit äußern deutsche Turnerinnen Vorwürfe - das betrifft auch das vom Schwäbischen Turnerbund betriebene Kunst-Turn-Forum in Stuttgart.
Wir sammeln an dieser Stelle die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Haben Sie Fehler entdeckt? Möchten Sie etwas kritisieren oder loben? Dann schreiben Sie uns gerne unter info@stb.de
Verband/allgemein
Wer übernimmt Verantwortung für die Geschehnisse? Wieso hat man sich noch nicht bei den Turnerinnen entschuldigt?
Die in den vergangenen Wochen und Monaten an uns herangetragenen Schilderungen von einigen Turnerinnen des Kunst-Turn-Forums bestürzen uns zutiefst, machen den Schwäbischen Turnerbund regelrecht fassungslos. Und der STB steht ohne jede Diskussion an der Seite dieser Turnerinnen und Turner. Auch wenn die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, zeigt sich jetzt schon sehr deutlich: Im olympischen Gerätturnen und auch am Kunst-Turn-Forum sind in den vergangenen Jahren einige Dinge gehörig schiefgelaufen.
Für den Schwäbischen Turnerbund stellt sich die Frage: Wie kann man in der heutigen Zeit auf die Idee kommen, dass man mit Stress und psychischem oder gar körperlichem Druck am Ende ein besseres und nachhaltigeres Ergebnis erreicht als im Miteinander? Insofern ist es für den STB absolut unverständlich, dass dies nach den Schilderungen einiger Turnerinnen in der Vergangenheit in unserem Kunst-Turn-Forum teilweise anders gelebt worden sein muss.
Die Erfahrungen, die einige unserer Turnerinnen offensichtlich machen mussten, bedauert der STB zutiefst. Welche Verfehlungen es genau gegeben hat, ist Gegenstand der derzeitigen Aufarbeitung. Auch wem persönliche Vorwürfe zu machen sind, gilt es noch zu ermitteln.
Fest steht; Der Schwäbischen Turnerbund stellt sich seiner Verantwortung.
Ungeachtet dessen wird der STB als Organisation den Sportlerinnen eine persönliche Entschuldigung anbieten, die der Schwäbischen Turnerbund aus Respekt gerne persönlich, nach Aufarbeitung aller Vorwürfe terminieren, um nicht vorab und pauschaliert hier eine Entschuldigung auszusprechen.
Wie viele Turnerinnen haben Vorwürfe bezüglich des Kunst-Turn-Forums geäußert?
Dem Schwäbischen Turnerbund sind bisher Vorwürfe von 19 Turnerinnen und einem Turner vom Bundesstützpunkt in Stuttgart bekannt. Einige Turnerinnen, die sich in den vergangenen Monaten öffentlich geäußert haben, stehen nicht in Verbindung mit dem Standort Stuttgart.
Von den Fällen, die den Bundesstützpunkt Stuttgart betreffen, bezieht sich der Großteil auf die Zeit vor April 2021. Teilweise liegen die vorgeworfenen Sachverhalte mehr als zehn Jahre zurück. Zu dieser Zeit gab es großteils andere Strukturen, andere Personen waren in der Verantwortung. Zudem hat der STB seit April 2021, das war der Zeitpunkt, von Tabea Alts Brief, sehr viel in unserem System und die organisatorischen Strukturen angepasst bzw. verändert.
Und trotzdem hat den STB vor nicht allzu langer Zeit erneut Vorwürfe von drei Personen erreicht.Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Schwäbischen Turnerbund davon ausgegangen, dass durch die ab 2021 ergriffenen Maßnahmen Erfahrungen, wie sie zum Beispiel Tabea Alt in ihrer Karriere erleben musste, unmöglich gemacht wurden.
Werden nun auch die Sportarten Rhythmische Sportgymnastik und Trampolin überprüft?
Auch hier wird der Schwäbischen Turnerbund selbstkritisch sein und falls nötig entsprechende Schritte einleiten, sollten dem STB vergleichbare Vorwürfe bekannt werden.
Wieso hat der STB nicht sofort offen und transparent reagiert?
Der STB hat vom ersten Tag an offen mit den Medien kommuniziert und auf alle Fragen geantwortet, sofern es möglich war.
Wieso hat sich der STB noch nicht persönlich an die Turnerinnern gewandt?
Wir arbeiten hier eng mit dem DTB zusammen. Dieser hat sich persönlich an alle Turnerinnen gewandt und ein Gesprächsangebot gemacht. Aufgrund der aktuellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind wir zudem gehalten, hier zurückhaltend zu sein.
Wussten der Präsident, der Geschäftsführer und der Stützpunktleiter des STB von den Vorwürfen von Tabea Alt im Frühjahr 2021?
Tabea Alts Brief waren dem Geschäftsbereichsleiter Olympischer Spitzensport, dem Geschäftsführer und dem Präsidenten bekannt.
Was haben die STB-Funktionsträger konkret nach Tabea Alts Brief auf den Weg gebracht?
Der STB erhielt dazu erstmals im April 2021 Informationen.
Am Bundesstützpunkt Stuttgart gab es danach unter anderem folgende Maßnahmen am Trainingssystem durch den STB: Die vier Themenbereiche „Umgang mit Verletzungen“, „Kommunikation“, „pädagogische Steuerung“ und „Belastungssteuerung“ wurden angegangen. So wurden beispielsweise die medizinische Steuerung und Weisungsbefugnis von den Trainerinnen und Trainern an eine übergeordnete Person übertragen. Außerdem finden Planungsgespräche nur noch unter dem Sechs-Augen-Prinzip statt und werden protokolliert. Um die pädagogische Steuerung zu gewährleisten, wurden Workshops mit Sportpsycholog*innen absolviert. Die Turnerinnen bedienen außerdem regelmäßig ein sogenanntes RPE-System, anhand dessen die Belastungssteuerung im Training stattfindet. Der Schwäbischen Turnerbund ist davon ausgegangen, dass diese Maßnahmen jedenfalls in den letzten drei Jahren dazu führen würden, dass Erfahrungen, wie sie Tabea Alt in ihrer Karriere erleben musste, vermieden werden. Aufgrund der jüngsten Meldungen und Veröffentlichungen von Turnerinnen muss der STB aber die Wirksamkeit und den Erfolg der bislang eingeleiteten Maßnahmen erneut auf den Prüfstand stellen – und zwar sehr kritisch.
Wenn die Beschwerden und Hinweise tatsächlich ernstgenommen wurden, warum blieben sie ebenso wie der ausführliche Brief von Tabea Alt 2021 so lange ohne Reaktion, dass sich die Turnerinnen über Social Media an die Öffentlichkeit gewandt haben?
Sämtliche Beschwerden und Hinweise wurden ernstgenommen und es wurde ihnen nachgegangen. Das wird auch in Zukunft geschehen – allerdings in anderer Art und Weise. Auch gab es eine Rückmeldung an die Auskunftspersonen. Dies betrifft sowohl den Brief von Tabea Alt aus dem Jahr 2021 wie auch beispielsweise die Meldung von Michelle Timm, auf die sie in ihrem Social-Media-Statement hinweist. Der Schwäbischen Turnerbund bedauert sehr, dass dies insbesondere bei den betroffenen Turnerinnen teilweise gänzlich anders wahrgenommen wird. In den Aufarbeitungsprozess werden die Turnerinnen intensiv einbezogen, wenn sie das möchten.
Wieso wurde der Aufarbeitungsprozess „Leistung mit Respekt in Baden-Württemberg“ nicht extern überprüft/begleitet?
Der Schwäbischen Turnerbund kann der eingeleiteten Untersuchung nicht vorgreifen, möchte aber mitteilen, dass auf Arbeitsebene viele externe Fachleute beteiligt gewesen sind.
Janine Berger kritisiert gemeinsam mit anderen Turnerinnen die Beauftragung der Kanzlei Rettenmaier! Wie steht der STB dazu?
Die Kanzlei Rettenmaier ist im Auftrag des DTB tätig. Ansprechpartner hierfür ist also der Deutsche Turner-Bund.
Der STB begrüßt ausdrücklich die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft, mit der der Schwäbische Turnerbund natürlich kooperiert. Nicht nur das: Auch jetzt ans Licht kommende Sachverhalte, die sich unterhalb der strafrechtlichen Schwelle bewegen, müssen von anderen unabhängigen Stellen aufgearbeitet werden. Hier wird der STB den Vorschlägen des Ministeriums und Landessportverbands BW folgen - nur so ist aus seiner Sicht möglich Vertrauen in der Öffentlichkeit wieder aufzubauen.
Das Ziel dieser Aufarbeitung muss es sein, die Schwachstellen im System zu erkennen und zu korrigieren – falls nötig, auch mit weiteren Konsequenzen.
Wird die weitere Untersuchung nun extern stattfinden?
Der Schwäbische Turnerbund begrüßt ausdrücklich die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft und die dadurch strafrechtliche Überprüfung des Sachverhalts. Alles, was sich unterhalb der strafrechtlichen Schwelle bewegt, muss in der Folge von anderen unabhängigen Stellen aufgearbeitet werden. Hier wird der STB den Vorschlägen des Ministeriums und Landessportverbands Baden-Württemberg folgen - nur so ist aus seiner Sicht möglich, Vertrauen in der Öffentlichkeit wieder aufzubauen. Die unabhängige Arbeitsgruppe des Landessportverbands Baden-Württemberg soll im April starten. Ergebnisse sind für Ende Juli angekündigt.
Wie lange wird es dauern, bis die Untersuchung abgeschlossen ist?
Das ist schwierig zu sagen und liegt nicht in unserer Hand: Es muss so gründlich wie nötig und so schnell wie möglich geschehen. Das ist auch für den Schwäbischen Turnerbund von großem Interesse! Die unabhängige Arbeitsgruppe des Landessportverbands Baden-Württemberg soll im April starten. Ergebnisse sind für Ende Juli angekündigt.
Was sagt der STB zu dem Vorwurf, dass Missbrauch im Deutschen Turnsport ein „systematisches Problem“ ist?
Der Schwäbische Turnerbund kann zum Bundesstützpunkt in Stuttgart Stellung nehmen. Derzeit ist der STB dabei, ein breites Spektrum an Einsicht in das Vorwurfsgeschehen und die dahinter liegenden Abläufe zu gewinnen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Hier bittet der STB, das Ergebnis des angestoßenen Prozesses abzuwarten.
Kunst-Turn-Forum Stuttgart
Wieso entscheiden die Trainer, ob eine Turnerin turnen kann oder nicht. Sollte das nicht ein Arzt tun?
Dies kann so nicht mehr stattfinden heutzutage! Die medizinische Steuerung und Weisungsbefugnis wurden von den Trainerinnen und Trainern an eine übergeordnete Person übertragen.
Wieso hat der STB erst so spät auf die Vorwürfe am Kunst-Turn-Forum reagiert?
Die anonymisierte Meldung des Deutschen Turner-Bunds Stuttgart ging beim Schwäbischen Turnerbund im September 2024 ein. Diese wurden gemäß dem für solche Fälle festgelegten Interventionsleitfaden aufgearbeitet bzw. werden es zurzeit.
Wie ist die Stimmung im Kunst-Turn-Forum?
Das Thema beschäftigt natürlich alle sehr. Jeder hat seinen eigenen Weg, damit umzugehen. Manche trainieren normal weiter, andere suchen das Gespräch mit Vertrauenspersonen oder thematisieren es im privaten Umfeld.
Wie wird das Training abgesichert?
Aktuell befindet sich der Schwäbischen Turnerbund in einer Übergangsphase durch das vorhandene Trainer-Personal und die neue Trainerin Aimee Boorman. Der STB arbeitet intensiv an einer nachhaltigen Lösung.
Haben sich Turnerinnen abgemeldet aufgrund der Vorwürfe?
Es gab im Nachwuchsbereich eine Abmeldung in den vergangenen Wochen
Welche Geldgeber hat der Bundesstützpunkt Gerätturnen weiblich und männlich in Stuttgart
Der Bundesstützpunkt wird von folgenden Partnern unterstützt: Deutscher Turner-Bund, Land Baden-Württemberg und Landeshauptstadt Stuttgart.
Wie findet die Personalauswahl beim STB bzw. im Kunst-Turn-Forum statt?
Trainer-Einstellungen und/oder Vertragsverlängerungen werden beim STB nicht anhand der Kaderplätze der Turnerinnen und Turner entschieden, sondern anhand der Qualifikation und Eignung.
Stimmt es, dass in der Vergangenheit Verletzungen von Turnerinnen nicht nach außen dringen sollten. Falls ja, warum ist das so?
Generell sind Gesundheitsinformationen vom Schutz des Persönlichkeitsrechts umfasst und der Schwäbische Turnerbund ist daher rechtlich verpflichtet, mit deren Preisgabe sehr zurückhaltend zu sein. Derartige Informationen können beispielsweise nicht ohne Einwilligung der Betroffenen kommuniziert werden.
Welche Auflagen müssen Trainer im STB erfüllen?
Es gibt folgende Vorgaben: Unterzeichnung Ehrenkodex, Unterzeichnung Verhaltensregeln, Unterzeichnung Erklärung zum Antikorruptionsgesetz, Vorlage erweitertes polizeiliches Führungszeugnis (alle 2 Jahre), Unterzeichnung Anti-Doping-Erklärung, mindestens Trainer-B-Lizenz.
Zahlen, Daten, Fakten zum Kunst-Turn-Forum
Das Kunst-Turn-Forum wurde im Jahr 1999 eröffnet. Aktuell trainieren circa 65 Turnerinnen und Turner im Alter von sieben bis 31 Jahren dort. Insgesamt gibt es 14 Trainerstellen.