Der Turnbetrieb zur Kaiserzeit (1870/71-1918)

Mittlerweile fanden in den Turnhallen regelmäßig der Turnbetrieb statt. Hierbei waren folgende Inhalte elementar:

Die Vorturner

Die Vorturner stellten im Vereinsturnen eine Art Eliteschicht dar. Sie wurden als fähige und pädagogisch begabte Turner vom Turnwart ausgewählt, den Riegen ihrer Abteilung durch Vorführen, Anweisung und Hilfestellungen die Turnfertigkeiten zu vermitteln. Als Vorbereitung auf diese verantwortungsvolle Aufgabe mussten sich Vorturner in besonderen Ausbildungsstunden - später auf regelrechten Lehrgängen - umfassende Kenntnisse der Turnkunst aneignen und sie in einer Vorturnerprüfung nachweisen. 1863 hielt die württembergische Turnlehrerbildungsanstalt die ersten Vorturnerkurse ab. Seitdem stand jedem Turngau ein ausgebildeter Turnlehrer zur Verfügung. Die Vorturnerschaften bildeten innerhalb vieler Vereine geschlossene Gruppen mit eigenen Gesetzen und besonderen Rechten. (Zur besseren fachlichen und überfachlichen Kommunikation gründeten sie 1904 die Schwäbische Vorturnervereinigung.) Die Einrichtung der Vorturner bestand auch in den 50er und 60er Jahren noch; danach wurde sie durch ein modernes Übungsleiterwesen ersetzt.

Das Gerätturnen

Das Turnen an den traditionellen Geräten Pferd, Reck und Barren war zu Kaiserzeit nicht mehr das Gleiche wie das der Hasenheide. Der Rückzug der Turner aus des Politik nach den Ereignissen von 1848/49 hatte zu einer Konzentration auf die fachliche Seite des Turnens geführt und eine beachtliche Weiterentwicklung turnerischer Methodik und des Leistungsniveaus zur Folge gehabt. Das anspruchsvolle Gerätturnen eignete sich nun mehr denn je für attraktive Darbietungen. Schauturnen, bei denen alle Mitglieder einer Riege gleichzeitig an je einem Gerät - wenn möglich synchron - die gleiche Übung turnen, beeindruckten die Öffentlichkeit.

Ein weiterer Faktor war das Aufkommen des Wettkampfgedankens, der die ursprüngliche Motivation des Turnens - ein gut ausgebildeter Vaterlandsverteidiger zu sein - um einen wichtigen Impuls erweiterte. Dem beliebten "Preis-" und Wetturnen, das einzelne Turner hervorhob, begegnete die Turnführung jedoch mit Skepsis. Es entsprach nicht dem turnerischen Ideal der vielseitigen Ausbildung der gesamten (männlichen) Bevölkerung.

Bis zur Etablierung des modernen Kunstturnens sollte noch einige Zeit vergehen.

Die Freiübungen

Die Frei- und Ordnungsübungen haben ihren Ursprung nicht im Jahnschen Turnen. Ihre Entwicklung in der Mitte des 19. Jahrhunderts steht in engem Zusammenhang mit dem Rückzug der Turnbewegung in die geschlossenen Räume der Schulen während der preußischen "Turnsperre" (ca. 1820 - 1842). Adolf Spieß, der wichtigste deutsche Schulturntheoretiker, hat gymnastische Bewegungen so zergliedert und aufbereitet, dass sie im Prinzip jedem vermittelt werden konnten. Auch im Vereinsturnen fassten diese einfachen Übungen, für die keine Geräte oder Anlagen notwendig waren, rasch Fuß und wurden bei Turnfesten als Massendarbietung populär. Die Übungen, bei denen die Turner in Reih' und Glied stehend, angespannt Arm- und Beinbewegungen kombinierten und sich nach Befehl in verschiedene Haltungen begaben, entsprachen in ihrem militärischen Drillcharakter dem Zeitgeist und der Philosophie der Turnerschaft. In Württemberg entwickelte Jaeger mit dem Eisenstabturnen eine Sonderform der Freiübungen.

Das Eisenstabturnen

Das Eisenstabturnen als besondere Variante der Freiübungen, die sich vor allem in Württemberg durchsetzten, hatte der schwäbische Turntheoretiker Heinrich Otto Jaeger entwickelt. Ausgehend von den schon bekannten Stabübungen hat Jaeger die Verwendung des schweren Eisenstabs als Gewehrersatz eingeführt und damit Turnen explizit als Wehrertüchtigung propagiert. Sein Ideal waren kraftvolle und zackige Bewegungen und ein betont "männlicher" Habitus. Mehr noch als im sonstigen Turnbetrieb pflegte man hier den Stil des "Ruck und Zuck", der uns heute in seiner übertrieben Anspannung stilisiert und verkrampft erscheint.

Wir sagen Danke

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