Das Vereinswesen zur Kaiserzeit (1870/71-1918)

Zur Kaiserzeit bauten die Vereine ihre Aktivitäten aus. So begangen die Turner, aufwendige Feierlichkeiten zur Ehrung ihres Vereins auszutragen und pflegten mit großem Eifer das Theaterspielen, das Spielmannswesen und das Singen. Auch regelmäßige Turnfahrten gehörten zum Vereinsleben:

Die beiden wichtigsten Gedenktage eines Turnvereins waren zum einen das Stiftungsfest, also das Gründungsjubiläum, und zum anderen die Fahnenweihe, die meistens mit einem Stiftungsfest zusammenfiel.

Das Stiftungsfest wurde mit großer Sorgfalt begangen. Turnerische Darbietungen und Geselligkeit standen auf dem Programm. Die Vereinsfahne war ein zentraler Gegenstand turnerischer Identität. Die Gestaltung, also Farbzusammensetzung und Symbolik des wertvollen Stücks, wählten die Vereine mit Bedacht.

Die Fahnenweihe fand in der Kirche statt und war von einem Festzug begleitet. Zu den beiden Feierlichkeiten lud man weitere Turn- und andere örtliche Vereine ein, die durch ihre Präsenz die gesellschaftliche Wertschätzung deutlich machten. Die Vereinsfeierlichkeiten boten den Turnern immer Gelegenheit, die eigene staatstragende Haltung zu demonstrieren.

Zu den beliebtesten Aktivitäten der Turnvereine gehörte das Theaterspielen. Die gesellige Seite des Vereinslebens hatte bei den Turnern in der Kaiserzeit einen so hohen Stellenwert, dass man aus heutiger Sicht fast den Eindruck gewinnt, der Turnbetrieb sei nur noch Nebensache gewesen. Aber das Theaterspielen hatte seinen durchaus ernsthaften Hintergrund. Zum einen spiegelt es das traditionelle Anliegen der Turner, auch Kultur- und Bildungsarbeit zu leisten, wider, zum anderen war es nicht selten für einen guten Zweck. Schließlich hatte auch die leichte Muse in Form von heiteren Stücken und Kostümfesten in einer Zeit ohne Unterhaltungsindustrie ihre Berechtigung.

Das Musik- und Spielmannswesen hat seine Ursprünge in den 1840er Jahren. In dieser Zeit wurde es unter den Turnern üblich, sich gegenseitig mit Musik zu empfangen. Einen ersten Aufschwung nahm das Spielmannswesen im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49, als die Turnvereine den Klang von Trommeln und Pfeifen zum Exerzieren einsetzten. Nach 1848/49 erlebte das Spielmannswesen einen Einbruch, und erst ab der Kaiserzeit werden Trommler- und Pfeifercorps in größerem Umfang Bestandteil der Turnfeste.

Vorbild dieses nun völlig auf revolutionäre Elemente verzichtenden Spielmannswesens waren die Tambourcorps der Militärs. Ein eigener Kreisspielmannszug begleitete in den Weimarer Jahren die schwäbischen Turnfestlichkeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg belebte auch die Schwäbische Turnerschaft diese Tradition wieder und gründet 1955 einen neuen Fanfarenzug. Die Spielmannszüge wecken auch heute bei den großen Veranstaltungen wie Landesturnfeste und Gymnaestraden mit ihren Auftritten Begeisterung und sind ein fester Bestandteil des breiten Freizeitsportangebots im STB.

Gesang war seit Jahn ein wichtiger Bestandteil des Turnerlebens, waren doch Lieder nicht nur Ausdruck von Kraft und Lebensfreude einer jungen aufstrebenden Turnbewegung, sondern eigneten sich auch auf ideale Weise, die politischen Ziele der Turner zu verbreiten.

Aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon stand den Turnern eine große Zahl patriotischer Lieder zur Verfügung, die dann in den 1840er Jahren durch ein breites Spektrum alter Volkslieder und neuer Kunstlieder ergänzt wurde. In Württemberg stellte Friedrich Silcher, einer der profiliertesten Vertreter der schwäbischen Sängerbewegung, eine Sammlung von Turnerliedern zusammen. Mit dem großen Aufschwung der turnerischen Geselligkeit in der Kaiserzeit wuchs die Zahl der Turnerlieder noch weiter an, und die meisten Vereine erwarben sich einen großen Bestand an Liederbüchern.

Gesungen wurde bei sehr verschiedenen Gelegenheiten: auf dem Turnplatz, vor Mitgliederversammlungen, bei Festen und Feierlichkeiten und vor allem beim Wandern. Turner- und Sängerbewegung waren im 19. Jahrhundert eng verbunden, was sich in einer frappierenden Ähnlichkeit in Geisteshaltung und Strukturen niederschlug.

Wandern als eine der natürlichsten Bewegungsarten gehörte bereits seit GutsMuths zum Angebot der Leibesübungen. Es sollte abhärten und kräftigen, den Gemeinschaftssinn fördern und die Sinneswahrnehmung verfeinern. Jahn gab dem Wandern eine ausgeprägte patriotische Komponente, sollte doch dadurch die Heimatverbundenheit gestärkt werden. Die ersten Turnvereine führten Turnfahrtenbücher, in denen sie die Tour und gute Rastpunkte festhielten. Bei Turnfesten hatten die "Turnfahrten" von Anfang an einen festen Platz. Um die Jahrhundertwende erhielt das Wandern neue Impulse durch die Jugendbewegung "Wandervogel". Wandern, die Begegnung mit der freien Natur, entwickelte sich bald zu dem wichtigen Ausgleich zur verstädterten Lebensform, der er heute noch ist.

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