Epochen der Turnbewegung

Beginn 19. Jahrhundert

Die ersten beiden Jahrzehnte nach 1800 waren geprägt von der Französischen Revolution und Napoleons Eroberungspolitik in Europa. Für Württemberg hatte das 1806 die Erhebung zum Königreich und 1819 eine Verfassung zur Folge. Eine konservative Politik, die aber durchaus eine - wenn auch beschränkte - Selbstbestimmung der Bürger befürwortete, gab die Rahmenbedingung für die Anfänge des Turnens in Württemberg vor.

Es war eine Studentengruppe aus Tübingen, die 1811 das Jahnsche Turnen in Berlin kennengelernt hatte und noch im gleichen Jahr diese Neuheit nach Tübingen zurückbrachte. Unter ihnen war auch Friedrich Wilhelm Klumpp, ein württembergischer Turnpionier der ersten Stunde, der 1816 in Hirsau die erste schwäbische Turngemeinde gründete. Kurze Zeit später legten Stuttgarter und Tübinger die ersten Turnplätze an, und vor allem genehmigte der neue König Wilhelm I., der der Leibeserziehung positiv gegenüberstand, die Einführung des Turnens an den Lehrer-Seminaren des Landes.

Die Napoleonische Eroberungspolitik hatte Deutschland in eine Krise gestürzt und das Bedürfnis nach umfassenden gesellschaftlichen Reformen bewirkt. Vor allem die Zersplitterung des Reiches in unzählige kleine Fürstentümer, die ihre Untertanen in Unmündigkeit hielten, wurde als unbefriedigend erlebt. Die Idee eines - romantisch verklärten - Nationalstaates mit verantwortlichen Bürgern faßte vor allem in akademischen Kreisen Fuß.

In diesem Diskurs stand auch der junge Friedrich Ludwig Jahn, der bei Leitfiguren der Nationalbewegung wie Fichte und Arndt seine geistige Prägung erhielt. Jahn begeisterte sich für das Konzept einer "Nationalerziehung", mit der junge Männer auf ihre künftige Rolle als aktive Staatsbürger vorbereitet werden sollten. Sein Anliegen war es, in diese Nationalerziehung auch die Leibesübung zu integrieren und somit "wehrhafte Patrioten" für den Befreiungskampf gegen Napoleon auszubilden.

Auf der Berliner Hasenheide richtete Jahn seinen ersten Turnplatz ein, auf dem er seine Anhänger zu Charakter- und Körperbildung um sich scharte. Bei der Körpererziehung konnte er im wesentlichen auf die Gymnastik nach GutsMuths zurückgreifen. Jahns Eigenleistung war deren Verknüpfung mit politischen Zielen.

Mit der großen Säkularisierungsbewegung seit der europäischen Renaissance hat sich das Körperbewußtsein entscheidend verändert. Sich lösend von einer körperfeindlichen Einstellung des christlichen Mittelalters hat man den Körper zunehmend als wichtigen und pflegebedürftigen Teil des Menschen erkannt. Außerdem entdeckte die Aufklärung, die den Menschen als selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Wesen postulierte, die Erziehung als entscheidende Maßnahme.

Damit waren die Weichen gestellt für die pädagogische Arbeit eines Johann Christoph Friedrich GutsMuths, der sowohl unter dem Aspekt der Gesundheit, vor allem aber mit dem Ziel der Ausbildung von moralischen und geistigen Fähigkeiten Ende des 18. Jahrhunderts seine "Gymnastik für die Jugend" entwickelte. In der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt sollten die Schüler laufen, springen, klettern, schwimmen und nach dem Vorbild der Antike ringen, Speer und Diskus werfen. Auch Spiele und im Winter Schlittenfahren und Schneeschuhlaufen gehörten zum Übungsprogramm. Als Hilfsmittel standen einfache Kletter- und Balanciergeräte und ein Sprunggraben zur Verfügung.

Der erste württembergische Turnplatz wurde mit öffentlicher Unterstützung 1817 in Stuttgart von dem fortschrittlichen Pädagogen Johann Ramsauer errichtet, den König Wilhelm I. als Erzieher seiner Stiefsöhne berufen hatte. Dort konnten Stuttgarter Bürgersöhne bis zu Remsauers Weggang 1820 und ab 1822 unter der Leitung von F. W. Klumpp das Turnen nach Jahn betreiben. In Tübingen war die Eröffnung des Turnplatzes 1819 eng verbunden mit der studentischen Burschenschaftsbewegung. Sein Gründer, Karl Völker, verfaßte eine Turnordnung, die ganz im Geiste Jahns die Heranbildung "bewußter Deutscher" propagierte.

Als 1820 als Reaktion auf die nationalpolitischen Aktivitäten der Turner deutsche Fürsten eine "Turnsperre" verhängten, musste auch der Tübinger Turnplatz geschlossen und sein Gründer ins Exil verbannt werden. Die Turnbewegung insgesamt erlitt einen schweren Rückschlag. Trotzdem waren in Stuttgart und in Tübingen diese Turnplätze Keimzellen der ersten Vereinsgründungen.

Als das Turnen 1820 aus politischen Gründen in Württemberg zwar nicht verboten, aber aus der Öffentlichkeit zurückgedrängt wurde, hatte es im Bildungswesen einen neuen Rahmen gefunden. Schon 1817 führte Euphoreus Reuß im evangelisch-theologischen Seminar Blaubeuren, einer der Lehrerausbildungsstätten im Land, das Turnen ein und erhielt 1819 die Unterstützung durch die württembergische Regierung. Turnen als unpolitische Leibesübung in der Art der Gymnastik nach GutsMuths hatte einen anerkannten Stellenwert.

Bereits 1824 wurde die Teilnahme der Seminaristen an den Turnübungen zur Pflicht. Alle Lehrer ebenso wie die dort ausgebildeten Pfarrer machten sich so mit Körpererziehung als Bildungsinhalt vertraut. In den folgenden 20 Jahren nahmen zahlreiche Erziehungs- und Lehranstalten, einige Gymnasien, Lyzeen und Realschulen das Turnen in den Unterricht auf, und 1845 wurde Turnen als ordentlicher Unterrichtsgegenstand in das württembergische Schulsystem eingeführt.

Wir sagen Danke

175 Jahre Leidenschaft für Bewegung ist nur dank starker Partner möglich. Im Rahmen des Jubiläumsjahrs bedankt dich der Schwäbische Turnerbund herzlich für die Unterstützung der AOK Baden-Württemberg, der EnBW und der Sparda Bank Baden-Württemberg.

AOK Baden-Württemberg EnBW Sparda Bank-Baden-Württemberg