Epochen der Turnbewegung

Weimarer Jahre

Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Friedensvertrag von Versailles begann in Deutschland eine Zeit extremer innenpolitischer Spannungen, gekennzeichnet durch große wirtschaftliche Probleme und Massenarbeitslosigkeit. Es war eine Epoche der Auflösung traditioneller Strukturen, die weiten Bevölkerungskreisen, vor allem Frauen, Jugendlichen und Arbeitern neue, nie dagewesene Freiräume eröffnete. Davon profitierte gerade die Körperkultur. Spiel und Sport wurde ein Massenphänomen.

In Organisationen Arbeiterturn- und Sportbund, dem Schwäbischen Turn- und Spielverband und sonstigen Sportverbänden erwuchs der Turnerschaft eine bedrohliche Konkurrenz. Auf diese schwierige politische und sportpolitische Situation reagierte die Turnerschaft zum einen mit Abwehrkampagnen und nationalistischer Profilierung, zum anderen aber auch mit einer umfangreichen Modernisierung: Einrichtung einer hauptamtlichen Geschäfts- und Vereinsberatungsstelle 1919, der Bau des Kreisturnerheims Otto-Hoffmeister-Haus 1927, die Aufwertung der weiblichen und jugendlichen Mitglieder und vor allem die deutliche Erweiterung des fachlichen Angebots um die beliebten Spiele, die volkstümlichen Wettkämpfe, den Schwimm- und den Skisport.

Gegen Ende der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte die Arbeiterschaft zunehmend ein eigenes Klassenbewusstsein, das sich u.a. in der Schaffung eigener Organisationen niederschlug und letztlich dazu diente, die politische Emanzipation zu erreichen. Das Bürgertum fühlte sich von dem rasch erstarkenden Proletariat bedroht und versuchte, im Zusammenwirken mit der vorhandenen Machtelite, die Unmündigkeit der Arbeiter aufrecht zu erhalten.

Als politische Vertretung der Arbeiter entstand 1863 die Sozialdemokratie. Da die Führung der 1868 gegründeten Deutschen Turnerschaft (DT) den monarchistischen Obrigkeitsstaat und das gegen die SPD erlassene Sozialistengesetz (1878 - 1890) unterstützte, wandten sich klassenbewusste Arbeiter von den DT-Vereinen ab, gründeten neue Vereine oder versuchten, in ihren Vereinen die Mehrheit zu erlangen.

So entstand 1893 der Arbeiter-Turnerbund (ATB) aus einer Protesthaltung der Arbeiterturner gegenüber dem wilhelminischen Staat und der immer reaktionärer werdenden DT. Der ATB befehdete nicht nur die DT, sondern auch alle anderen völkisch, patriotisch und nationalistisch ausgerichteten und sich der Fahne Schwarz-Weiß-Rot verbunden fühlenden Sportverbände. 1894 schloss sich der Turn-Klub Stuttgart als erster wüttembergischer Verein dem ATB an. Da die württembergische Arbeiterschaft vielfach traditionellen Vorstellungen verbunden blieb ("Arbeiterbauern"), das Königreich eine vergleichsweise liberale Kultur aufwies und kein Industriearbeiter-proletariat vorhanden war, entwickelten sich die Arbeitervereine nur langsam. [R. Fricke]

Die im bürgerlichen Sport übliche Trennung in Turnvereine und Sportvereine und die daraus resultierende fachverbandliche Gliederung kannte der Arbeitersport nicht. Turnen und Sport bildeten einzelne Sparten innerhalb der organisatorischen Einheit eines Arbeitersportvereins. Bezirks-, Kreis- und Landeskartelle waren letztlich in der Dachorganisation "Zentralkommission für Sport und Körperpflege" zusammengeschlossen.

Ab 1906 bildete Württemberg den selbständigen 17. Kreis innerhalb des ATB, nachdem es bis dahin mit Baden, Elsaß-Lothringen und der Pfalz im 10. Kreis des ATB eingebunden war. Auf dem 12. Bundestag in Leipzig 1919 wurde Württemberg im Zuge einer Kreisneueinteilung zum 8. Kreis des ATSB. Um eine organisatorische Zersplitterung zu vermeiden und gleichzeitig einen sportlichen Kräftevergleich ebenbürtiger Vereine innerhalb eines größeren Einzugsgebiets möglich zu machen, wurde 1928 eine Neueinteilung der Bezirke des 8. Kreises vorgenommen.

1. Bez.: Stuttgart
2. Bez.: Göppingen
3. Bez.: Heilbronn
4. Bez.: Schwenningen
5. Bez.: Reutlingen
6. Bez.: Cannstatt
7. Bez.: Kornwestheim
8. Bez.: Esslingen

Die Grenzen des 4. Bezirks folgten dabei nicht der politischen Grenze, da badische Vereine (z.B. Konstanz, Radolfzell, Singen u.a.) aus geographischen und verkehrstechnischen Gründen dem 8. Kreis (Württemberg) und nicht dem 10. Kreis (Baden) zugeteilt waren.
[R. Fricke]

Die Arbeitersport- und Arbeiterkulturorganisationen sahen sich nicht nur als Freizeitinstitutionen, sondern sie repräsentierten auch das Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft und stärkten deren Solidaritätsgefühl. Männer, Frauen und Jugend waren als Gleichgesinnte beim Turnen und Sport zusammen und nahm an Aktivitäten des Vereins Anteil. Zum Vereinsalltag gehörte eine möglichst regelmäßige Teilnahme an den Übungsabenden, die meistens im Vereinslokal der Arbeitersportler oder im eigenen Vereinsheim ausklangen. Stiftungsfeste, Maskenbälle, Sommerfeste, Fahnenweihen, Weihnachtsfeiern usw. wurden der bürgerlichen Seite unter einer anderen ideologischen Zielsetzung nachgebildet.

Bedingt durch den Organisationsaufbau des ATSB war es möglich, in einem Verein mehrere Sportarten zu betreiben. Der Vielseitigkeitsanspruch führte nicht selten dazu, dass sich z.B. ein Handballspieler außer in seiner Spezialdisziplin auch in der Leichtathletik versuchte. Als eine Selbstverständlichkeit wurde das Zusammenwirken von Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Arbeitersportlern und Arbeitersängern bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai erachtet. Unter dem Motto: "Gemeinsam sind wir stark", wurde mit Nachbarvereinen kooperiert oder wesensgleiche Organisationen wie die Arbeiter-Athleten, der Touristenverein "Die Naturfreunde", die Arbeiter-Radfahrer "Solidarität" oder die Arbeiter-Samariter im Rahmen des Arbeiter Sport- und Kulturkartells unterstützt. [R. Fricke]

Der erste Arbeiterturnverein Württembergs rief bereits im Jahr seiner Gründung (1897) eine Damenabteilung ins Leben. Durch die Gesellschaft politisch, rechtlich und ökonomisch extrem benachteiligt, galt die Frau im Arbeitersport als "ebenbürtige Kameradin des Mannes". Auf dem Weg zu einer vollen Emanzipation der Frau hielt der ATB bzw. ATSB eine Reform der bürgerlichen Gesellschaft für notwendig und sah u.a. in Turnen, Sport und Spiel Aktionsfelder, dieses Ziel zu erreichen. Dem sportlichen Wirken bzw. einem Auftreten der Frau in der Öffentlichkeit standen neben der unzweckmäßigen Kleidung überholte Moralvorstellungen und traditionelle Vorurteile medizinischer und ästhetischer Art entgegen. Bereits 1903 trat der ATB für die Hose als geeignetste Turnkleidung der Frau ein. Der Weg von Turnkleid und Kniehose zu kurzer Turnhose und Sporttrikot sollte allerdings noch lang werden und nicht frei von Verunglimpfungen bleiben.
Ab 1909 gab der ATB für seine Frauen und Mädchen eine eigene Schrift unter dem Titel: "Die freie Turnerin" heraus. Noch vor dem politischen Wahlrecht der Frauen, das der ATB forderte und als dringend erwünscht ansah, räumte er seinen Frauen ein prozentuales Vertretungsrecht auf seinen Bundestagen und in den Vertretungskörperschaften ein. Das Übungsangebot für Frauen im ATSB war relativ groß. Neben rhythmischer Gymnastik und Gerätturnen wurden Leichtathletik und Schwimmen betrieben sowie Handball und Trommelball gespielt.
[R.Fricke]

Nach dem Ersten Weltkrieg beschleunigte sich der Emanzipationsprozess der Frauen deutlich. Zum neuen Weiblichkeitsideal entwickelte sich die berufstätige, selbständige und sportliche Frau. Auch wenn die Turnerschaft eher konservativ war, auf die Akzeptanz von weiblichen Mitgliedern wirkten sich diese Entwicklungen positiv aus. Die Zahl der weiblichen Mitglieder hatte sich in der Schwäbischen Turnerschaft zwischen 1907 und 1928 auf ca. 13.000 verzehnfacht. 1919 wurde das Frauenturnen als eigenständiger Bereich vom Männerturnen getrennt; der Turnkreis XI erhielt seinen ersten Frauenturnwart. Ämter im Verbandswesen haben Frauen später übernommen. 1929 trat das erste weibliche Mitglied in den Kreisfrauen-Turnausschuss ein.

Im Turnbetrieb waren größere Fortschritte zu verzeichnen. Galt im Kaiserreich Frauenturnen in Form von Vorführungen mit Keulen noch als Sensation, konnten 1921 schon der erste Schwäbische Turnerinnentag und sonstige Wettkämpfe abgehalten werden, bei denen Frauen nicht nur Freiübungen sondern auch volkstümliches Turnen und Spiele betrieben. Im Gerätturnen war den Turnerinnen zögerlicher Erfolg beschieden. Hier erwiesen sich die Vorstellungen von körperlicher Schwäche der Frauen und moralische Bedenken wegen "unschicklicher" Bewegungsformen als besonders hinderlich. Die mit Abstand beliebteste Bewegungsform wurde die moderne Gymnastik, ihr vor allem verdankt das Frauenturnen seinen Aufschwung.

Zu den wichtigsten Neuerungen der Bewegungskultur des 20. Jahrhunderts gehört die moderne Gymnastik. Sie baute im Prinzip auf die Körperschulung der Antike auf, die GutsMuths für die Neuzeit wiederbelebt hatte, erfuhr ihre wesentliche Ausprägung jedoch durch die neuen Elemente Schwung und Rhythmus. Beeinflusst von der Reformpädagogik und neuen Entwicklungen auf dem Gebiet des künstlerischen Tanzes entstanden ab der Jahrhundertwende verschiedene Gymnastikschulen, die über harmonische, natürliche Bewegungen Lebendigkeit und körperliche Selbsterfahrung vermittelten und den Menschen so von zivilisatorischen Zwängen befreien wollten. Persönlichkeiten wie Bess Mensendieck, eine der erfolgreichsten Verfechterinnen des heilgymnastischen Aspekts und stärker künstlerisch geprägte Vertreter wie Emile Jacques-Dalcroze, sein Schüler Rudolf Bode, Elisabeth und Isidora Duncan, Rudolf von Laban, seine Schülerin Mary Wigman und Heinrich Medau haben die moderne Gymnastikbewegung nachhaltig geprägt.

Für die Schwäbische Turnerschaft leistete Ago Glucker Pionierarbeit. Die rhythmische und schwungvolle Gymnastik entwickelte sich rasch zum populärsten Bereich des Frauenturnens. Sie entsprach nicht nur dem Weiblichkeitsideal von Anmut und Schönheit sondern auch dem im Frauenturnen immer zentralen Anliegen der Gesundheitsförderung stärker als andere Bewegungsformen. Die sportliche Variante der Rhythmischen Sportgymnastik hat sich erst in den 60er Jahren aus der Wettkampfgymnastik entwickelt.

Der ATB fühlte sich der sozialistischen Kultur- und Erziehungsarbeit verpflichtet und sah in der Herausbildung eines "neuen Menschen" eine wichtige Aufgabe auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft. Er maß deshalb der Jugendarbeit eine große Bedeutung bei, denn nur "eine zahlenmäßig starke, solidaritäts- und selbstbewusste Jugend garantiert den Fortbestand der Arbeiterbewegung". Ähnlich den Frauen wurden den Jugendlichen in den Arbeitersportvereinen mehr Rechte eingeräumt als dies z.B. in bürgerlichen Sportorganisationen der Fall war. Jugendliche hatten bereits, im Gegensatz zum politischen Leben, mit 15 Jahren Stimmrecht in den Vereinen. Das Reichsvereinsgesetz von 1908 untersagte Personen unter 18 Jahren die Mitgliedschaft in politischen Vereinen; sogar die bloße Anwesenheit bei einer öffentlichen politischen Versammlung war verboten.

Da ATB-Vereine zeitweise als "politisch" eingestuft waren, konnten diese Institutionen nur erschwert Jugendarbeit betreiben. So konnte das Rektorat der Bürgerschule 2 in Stuttgart dem Sohn des ATB-Bundesvorsitzenden Frey bei Strafe die Teilnahme an den Turnstunden der Freien Turnerschaft Stuttgart verbieten, obwohl Frey zusätzlich Vorsitzender dieses Vereins war. Die Vereine und Bezirke des 8. Kreises des ATSB hatten eigene Jugendausschüsse, die in einem Bundesjugendausschuss zusammengefasst waren. Ab 1925 gab der ATSB eine eigene Schrift unter dem Titel: "Jugend und Arbeitersport" heraus.
[R. Fricke]

Seit der Jahrhundertwende hatte ein einschneidender Wandel im Verhältnis der Generationen stattgefunden. Nicht mehr nur der etablierte Stand und die Erfahrung des erwachsenen oder älteren Menschen fanden Anerkennung, sondern auch Jugend erschien in einer leistungsorientierten, dynamischen Industriegesellschaft zunehmend als Wert. Die Jugendlichen selbst hatten sich in "Jugendbewegungen" von autoritären Strukturen emanzipiert und traten als selbständige Gruppe auf, die man nur mit attraktiven Angeboten für sich gewinnen konnte.

Auch die Turnerschaft, die ihre "Zöglinge" bisher eher nachlässig betreute, musste hier umdenken. Sie stellte sich nicht nur durch eine Ausweitung des Spielbetriebs auf die jugendliche Bewegungskultur ein, sondern billigte ihr auch eigene Gestaltungsräume zu. Die 1921 gegründete "Turnerjugend" organisierte ihre eigenen Jugendtreffen mit Tänzen, Liedern und Lagerleben. Sie vertrat mit dem Wahlspruch des Vorsitzenden der Deutschen Turnerjugend, Edmund Neuendorff "Zurück zu Jahn, es gibt kein besseres Vorwärts" eine deutschnationale Politik, die der "völkischen" Ideologie des Nationalsozialismus entgegenkam.

Die starke Anlehnung der Turnerschaft an nationalistische und militaristische Kräfte fand bei weitem nicht nur die Unterstützung ihrer Basis. Vor allem der Beitritt zum paramiliärischen Jungdeutschlandbund erregte massiven Widerstand, der sich 1913 in der Abspaltung einzelner Turner und ganzer Vereine und ihrem Zusammenschluss im "Schwäbischen Turn- und Spielverband" (STSV) niederschlug. Der neue Verband hatte seine größte Anhängerschaft im ländlichen Raum und teilte sich in die drei Gaue "Mittelschwäbischer Gau", "Neckar-Fils-Gau" und "Neckar-Enz-Gau".

Der STSV unterschied sich von der Schwäbischen Turnerschaft vor allem durch seine Ablehnung einer weltanschaulichen Bindung und durch die stärkere Betonung der sportlichen Spiele. 1921 kam es auf schwäbische Initiative zur Gründung des "Allgemeinen Deutschen Turnerbundes", der ähnliche Regionalverbände wie den STSV umfasste. Das Ende brachte die "Gleichschaltung" der Nationalsozialisten 1933 mit der Wiedereingliederung der ca. 100 Vereine in die Schwäbische Turnerschaft.

Im innenpolitisch angespannten Klima der Weimarer Republik radikalisierte sich die traditionell nationalpatriotische Geisteshaltung der Turnerschaft zur "völkischen" Ideologie. Das romantisch verklärte Klischee von deutschem Wesen und Kultur erhielt verstärkt chauvinistische Züge. "Deutsches Volkstum" wurde ein zentraler Begriff der Zeit, in der man - verunsichert durch eine bedrohliche Gegenwart - Halt im Rückgriff auf die germanischen Wurzeln suchte. Die Turnerschaft verstand sich als Hüterin dieses "Deutschtums" und demonstrierte dies auf vielfältige Weise.

Eine besondere Gelegenheit bot 1925 die Einweihung des Hermannsdenkmals in Detmold, zu der 120.000 deutsche Turner - in der Tradition des Eilbotenlaufes von 1913 - einen Staffellauf mit einer Laufstrecke von 18.000 km aus allen Teilen Deutschlands durchführten. Durch Württemberg ging der Hauptlauf ab Friedrichshafen über Ulm, Stuttgart und Heilbronn, dazu Nebenläufe durch den Schwarzwald, Hohenstaufen, Hohenlohe, Teck- und Stromberggebiet. Es war der größte Eilbotenlauf der Turngeschichte, der mit Urkunden und Sonderpublikationen als bedeutendes deutschnationales Ereignis dokumentiert wurde.

Bei GutsMuths und Jahn waren neben sogenannten Neckspielen auch Lauf- oder Wurfspiele selbstverständlicher Bestandteil des Turnbetriebs. Sie sollten die Jugend zu Ausdauer, Geschicklichkeit und Gemeinschaftssinn erziehen und Freude bringen. Der Rückzug des Turnens in die geschlossenen Räume in der Zeit der preußischen Turnsperre hat die Spiele jedoch in den Hintergrund gedrängt. Erst die wachsende Beliebtheit der sportlichen Spiele, die mit der Jahrhundertwende aus England nach Deutschland kamen, zwang die Turnerschaft - vor allem wegen der Anziehungskraft der Spiele auf die Jugend - dem Zeitgeist nachzugeben und ihre eigene Spieltradition wiederzubeleben.

Die Integration der freieren und wettkampforientierten Spiele fiel der Turnerschaft anfangs nicht leicht. Aber nicht zuletzt die Konkurrenz des "Schwäbischen Turn- und Spielverbandes",der Arbeiterturn- und -sportvereine, die sich der Spielbewegung früher aufgeschlossen hatten, und der Sportverbände bewirkte einen Umschwung. Zu einem echten "Volksspiel" hofften die Turner das eher komplizierte Schlagballspiel - dem amerikanischen Baseball ähnlich - ausbauen zu können, was aber gerade in Württemberg nicht gelang. Viel erfolgreicher wurden Faustball, Handball und Fußball, die vor allem nach dem Ersten Weltkrieg in den Turnvereinen ihren Siegeszug antraten.

Das Faustballspiel gehörte zu den Spielen, die die Turnerschaft seit der Jahrhundertwende besonders förderten und zu dessen Entwicklung sie maßgeblich beitrugen. Es war ein Spiel, das sich relativ leicht erlernen ließ, nur wenig Platz brauchte und für alle Altersgruppen geeignet war. Auch die ländlichen Turnvereine betrieben dieses Sommerspiel mit großem Eifer.
Die Spielweise hat gerade in den Anfangsjahren einige Änderungen erlebt: Ursprünglich wurde mit einem recht großen Ball möglichst hoch über die Leine hin und her geschlagen, man "päppelte" sich denn Ball in eine günstigere Position, und schlechtes Angeben des Balls auf die Gegnerseite war verpönt. Stil war mindestens so wichtig wie Punktgewinn. Das "Päppeln" wurde als schädlich für das Mannschaftsspiel bald abgeschafft und die Schnurhöhe auf 2 Meter festgelegt. 1907 / 1913 führte man eine Angabelinie ein, deren Fehlen bis dahin oft Auseinandersetzungen provoziert hatte. Durch die Freigabe aller Schlagarten und andere kleinere Regeländerungen sollte sich das Faustballspiel in den Weimarer Jahren zu einem sogenannten Kampfspiel entwickeln, was der turnerischen Tradition wenig entsprach. Heute gehört das Faustballspiel zu den wichtigen Fachbereichen im STB.

Das Handballspiel führte der Turnkreis XI Schwaben 1920 ein. Es war während des Ersten Weltkrieges von der Turnerschaft in enger Anlehnung und als Gegenmaßnahme zum überwältigenden Vormarsch des Fußballs entwickelt worden und verzeichnete mit seinen relativ einfach zu erlernenden Regeln und dem ausgeprägten Wettkampfgedanken bald eine große Anhängerschaft. Nur die Schwierigkeiten der Vereine, sich Spielplätze zu beschaffen, stellten ein nennenswertes Hindernis dar. Pioniere im Bereich des damals üblichen Feldhandballs waren die Stuttgarter, die Esslinger und die Göppinger Turner.
Das Jahr 1922 brachte dem Turnkreis IX eine einheitliche Spielordnung, einen ersten Lehrgang für die Spielwarte im Handball und die Gründung einer ersten Schiedsrichtervereinigung. Der Ausbau des Wettkampfbetriebes ging in großen Schritten voran, auch bei den Frauen war Handball sehr beliebt. Eine einseitige Spezialisierung, wie die Turner sie dem Sport vorwarfen, wollten sie jedoch auch hier nicht zulassen. Eine teilweise Spielsperre für den Winter sollte den Handballern Gelegenheit zu einer umfassenden Leibesübung geben.

Eine schwierige und konfliktreiche Beziehung bestand von Anfang an zwischen den Turnern und dem aus England kommenden Fußball. Das rauhe und kämpferische Spiel passte nicht in die damalige Turnphilosopie von ganzheitlicher und disziplinierter Körperertüchtigung. Die Führung der Turnerschaft stand dem Fußball sehr ablehnend gegenüber. Aber die rasch wachsende Popularität des Fußballs ließ ihr keine Wahl, als ihre jungen Mitglieder - wollte sie sie nicht verlieren - auch dieses Spiel betreiben zu lassen. Beim Bergfest des XI. Kreises 1896 trugen der TV Cannstatt und der TB Ulm das erste Fußball-"Wettspiel" aus.

Für die Entwicklung des Turnerfußballs war es jedoch von großem Nachteil, daß die Turnführung nicht ihre ursprüngliche Politik der Kooperation mit dem Deutschen Fußballbund aufrechterhielt, sondern aus Sorge, den Einfluss auf die eigenen Fußballmannschaften zu verlieren, auf harten Konfrontationskurs ging. Höhe- und Endpunkt dieses Kurses stellte der Beschluss der Turnerschaft über die "reinliche Scheidung" dar, mit der sie ab 1922 ihren Mitgliedern eine strenge Trennung vom Sportverbandswesen vorschrieb. Zahlreiche Fußballabteilungen von Turnvereinen sahen sich gezwungen, selbständige Vereine zu werden. Noch in den 30er Jahren setzte eine Wiederannäherung zwischen Turnen und Fußball ein, die jedoch die generelle Trennung nicht mehr grundlegend in Frage stellte.

Den Begriff "volkstümlich" hat Jahn zwar geprägt, aber eine ausdrückliche Trennung der turnerischen Bewegungsformen in das Gerätturnen und die einfacheren Übungen des Laufens, Springens, Werfens und Ringens gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts nicht. In Württemberg hat Heinrich Otto Jaeger sich 1849 für diese leichtathletischen Disziplinen stark gemacht und nach antikem Vorbild "schwäbischer Pentathlon" mit den fünf Disziplinen Laufen (auch schon als Hürdenlauf), Springen einschl. Stabhochsprung, Werfen mit dem Ger oder als Steinstoßen, Klettern (an Tauen und Masten) und Ringen vorgeschlagen.

Der Durchbruch gelang dem "volkstümlichen Turnen", das sich für Leistungsvergleich besser eignet als Gerätturnen, mit Ende des 19. Jahrhunderts, als der Wettkampfgedanke auch in der Turnerschaft Fuß faste. Die Bergfeste entwickelten sich als beliebte "volkstümliche" Veranstaltungen. Ihren großen Aufschwung nahmen die volkstümlichen Wettkämpfe in den Weimarer Jahren, als die Turnbewegung "Versportung" des Turnens

Schwimmen gehört zu den grundlegenden Bewegungsformen, die schon GutsMuths für wichtig hielt. Jahn forderte war: "kein Turner, der nicht schwimmen kann". Trotzdem fasste Schwimmen in den Turnvereinen nur zögerlich Fuß. Vor allem Militärs und Turnlehrer nahmen sich wegen der allgemein kräftigenden Wirkung des Schwimmens seiner an. Erst nach der Jahrhundertwende, als die Bewegung in der freien Natur populär wurde, weisen Fortschritte in der Schwimmtheorie, der Bau erster Schwimmanlagen und die Entstehung organisatorischer Strukturen auf die zunehmende Wertschätzung des Schwimmens hin.

Die erste Schwimmabteilung in Württemberg gründete 1911 der TB Ulm. 1912 nahm die Turnführung Schwimmen in das Wettkampfangebot der Landesturnfeste auf. Seinen Durchbruch erlebte Schwimmen jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1919 berief man einen Vertreter für Schwimmen in den Kreisturnausschuss, 1921 einen eigenen Kreisschwimmwart, der für ein umfangreiches Wettkampfprogramm zuständig wurde. Die Turner schätzten Schwimmen als Bestandteil einer umfassenden Körperbildung sehr hoch ein. Dieser Aspekt ist für das Schwimmen im STB heute noch maßgebend.

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der sogenannte "Schneeschuhlauf" in Mitteleuropa bekannt wurde, fasste auch die Schwäbische Turnerschaft früh Interesse an der damals noch eher kuriosen Natursportart und machte sie bald zu ihrer wichtigsten "Winterübung". Mit ihrer Wander- und Turnfahrtentradition waren die Turner prädestiniert, sich auf schweren Hickory- oder Eschenholzbrettern mit zwei Bambusstöcken oder einer "Alpenstange" an Stemmbögen und Telemarkschwüngen zu versuchen. Die Abfahrt hatte dabei - vor der Entstehung von Liftanlagen - nicht den heutigen Stellenwert, der frühe Schneeschuhlauf entsprach eher dem modernen Tourenskifahren.
Beliebt wurde außerdem - gerade bei Turnern - das Skispringen. Frauen und Jugendliche gehörten von Anfang an zu den Anhängern des "weißen" Sports. Auch die Popularität des "Schneelaufs" war eng verbunden mit der Entstehung des Massensports in den 20er Jahren, die mit neuen Techniken, neuen Geräten und Skihütten seinen großen Aufschwung auch als Wettkampfsport brachten. Im STB wird bis heute Skisport betrieben.

Wir sagen Danke

175 Jahre Leidenschaft für Bewegung ist nur dank starker Partner möglich. Im Rahmen des Jubiläumsjahrs bedankt dich der Schwäbische Turnerbund herzlich für die Unterstützung der AOK Baden-Württemberg, der EnBW und der Sparda Bank Baden-Württemberg.

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