Epochen der Turnbewegung
Nachkriegszeit
Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hatten Deutschland eine nachhaltige und vielfältige Zerstörung gebracht. Abgesehen von großen materiellen Schäden, die ein normales Leben unmöglich machten, waren es vor allem die hohen menschlichen Verluste und das moralische Versagen in jenen Jahren, die eine schwere Hypothek darstellten. Unter den Bedingungen einer Besatzungsverwaltung musste man nun einen neuen Anfang finden. Dem Turn- und Sportbereich standen die Militärregierungen der Siegermächte wegen seiner engen Anlehnung an den Nationalsozialismus und seiner potentiell militärischen Funktion skeptisch gegenüber und knüpften an dessen Wiederaufbau zum Teil strenge Auflagen: Entnazifizierung seiner Führung, Demokratisierung seiner Strukturen und Entmilitarisierung des gesamten Sportbetriebs durch Verbot einiger Sportarten. Trotzdem erstand das Turn- und Sportleben recht bald wieder aus den Trümmern der Nachkriegszeit. Die Sehnsucht nach Ablenkung vom bedrückenden Alltag war groß, und erste Turn- und Sportveranstaltungen fanden großes Interesse. Auch um den Wiederaufbau des Vereins- und Verbandswesen bemühte man sich mit Erfolg.
Zerstörte oder zweckentfremdete Hallen und Plätze, Mangel an Heizungsmaterial, fehlende Transportmöglichkeiten, Einschränkungen der Besatzungsmächte und vor allem große Ernährungsprobleme waren Rahmenbedingungen, die nicht auf rasches Wiederaufleben des Turn- und Sportbetriebs schließen ließen. Aber das Bedürfnis nach - zumindest kurzzeitiger - Normalität des Lebens und nach vertrauter und spielerischer Aktivität überwand die zahllosen Schwierigkeiten. Schon im Sommer 1945 konnten zahlreiche lokale Sportveranstaltungen durchgeführt werden. Anfangs dominierte der Fußball, aber schon bald ließen die Turnvereine ihre starke Handballtradition wiederaufleben und waren maßgeblich an der Ausrichtung der in der Nachkriegszeit besonders populären Stadtläufe beteiligt.
Ballsportarten und leichtathletische Disziplinen konnten nicht ohne aufwendige technische Ausrüstung betrieben werden, sie lagen auch ganz auf der sportpolitischen Linie der Besatzungsmächte. Nicht auf der Linie der französischen Militärregierung lag jedoch das Gerätturnen; es blieb in Südwürttemberg bis 1948 verboten. Von französischer Seite wollte man damit vor allem die Turntradition allgemein brechen. In Südwürttemberg konnten daher nicht vor 1949 wieder erste kleinere turnerische Veranstaltungen stattfinden, während der (Nord-) Württembergische Turnerbund 1950 in Aalen schon ein erstes Landesturnfest organisierte.
Die Basis des Vereinswesens war zwar durch die "Gleichschaltung" des Nationalsozialismus und die Einwirkungen des Kriegs verändert und beschädigt, aber nicht zerstört. Das Vereinsleben wurde zum Teil bis weit in die Kriegsjahre hinein gepflegt und schon im Sommer 1945, wenige Wochen nach Kriegsende, zeigte es sich wieder in ersten Ansätzen. Sogar Vereinsjubiläen wurden gefeiert. Aber ein derartig reibungsloses Anknüpfen an die traditionellen Strukturen ließen die Besatzungsmächte nicht zu.
Sie lösten formal das gesamte Vereinswesen auf und verfolgten eine streng kontrollierte Neuzulassung. Besonders die französische Militärregierung im Süden Württembergs strebte eine tiefgreifende Neugründung des Sportvereinswesens an, aus dem gerade die Einflüsse der - in ihren Augen nationalistischen - Turnbewegung, zurückgedrängt werden sollten. Turnvereine als solche waren bis 1950 verboten. Allein mehrspartige Großvereine wurden in langwierigen Verfahren genehmigt. Im amerikanisch besetzten Nordwürttemberg konnten die Turner ihr Vereinswesen auch offiziell wieder aufbauen, mussten aber wie in der französischen Zone einige bürokratische Hürden überwinden.
Während die Vereinsbasis über eine relativ gute Ausgangslage für den Wiederaufbau verfügte, musste man beim Aufbau des Verbandswesens komplizierte und tiefsitzende Probleme bewältigen. Die nationalsozialistische Sportpolitik hatte ein Umdenken in der gesamten deutschen Turn- und Sportwelt bewirkt. Die extreme Zersplitterung des Verbandswesens, die vor allem die Weimarer Zeit kennzeichnete, sollte durch die "Einheit im Sport" überwunden werden. Vor allem die Arbeiterturn- und Sportführung leistete einen maßgeblichen Beitrag zur Annäherung an dieses Ideal und verzichtete auf die Wiedergründung ihres von den Nationalsozialisten zerstörten Verbandswesens. Die weiteren Schritte erwiesen sich jedoch als schwierig. Für die Turner stellte sich die Frage ihrer Identität in einem neuen Verbandswesen. Die Reduzierung auf eine "Sparte" kam angesichts ihrer umfassenden fachlichen und ideellen Konzeption nicht in Frage.
1948 gründete sich im amerikanisch besetzten Nordwürttemberg der Württembergische Turnerbund und im französisch besetzten Südwürttemberg 1949 der Turnerbund Schwaben, die sich 1952 offiziell wieder zum Schwäbischen Turnerbund unter dem Vorsitz Wilhelm Obermeyers zusammenschlossen. Über ein Jahr zuvor, im September 1950, waren die schwäbischen Turner in Tübingen schon Gastgeber für die Neugründung des Deutschen Turner-Bundes gewesen. Ihren Platz innerhalb des gesamten württembergischen Turn- und Sportverbandswesens fand die Turnerschaft - nach harten Konflikten - als Mitglied des neuen Deutschen bzw. Württembergischen Landessportbundes.