1. Mai 1848: Die Gründungsszenerie

Die Turngemeinden Schwabens vereinigen sich zu einem Bunde - so heißt es in der ersten Satzung des Schwä­bischen Turnerbundes, die 1850 auf dem Turntag in Göppingen beschlossen wurde. Nach diesen "Sazungen" wurden die "gemeinsamen An­gelegenheiten der Turnvereine Schwabens, die dem Bund" beitraten, von dem Ver­ein verwaltet, der das nächste Turnfest ausrichtete. Zur "Geschäftsführenden Gemeinde" oder zum „Vorort“ wurde Esslingen mit seinem Sprecher Theodor Georgii gewählt.
 

Der Gründungstag des Schwäbischen Turnerbundes ist der 1. Mai 1848. Damals kamen auf einem Turntag in Esslingen 29 schwäbische Turnvereine „durch Abgeordnete“ zusammen, und drei waren durch schriftliche Mitteilung vertreten. Es handelte sich um die Turngemeinden aus Esslingen, Gmünd, Calw, Öhringen, Ludwigsburg, Cannstatt, Reutlingen, Metzingen, Biberach, Ulm, Heilbronn, Isny, Hall, Künzelsau, Tübingen, Heidenheim, Göppingen, Geislingen, Lorch, Münsingen, Eningen, Schorndorf, Böblingen, Beilstein, Stuttgart, Neustadt, Dettingen, Altenstadt, Winnenden, Blaubeuren, Murrhardt und Urach. Sie fassten wegweisende Beschlüsse. Der erste und wichtigste lautete: „Die schwäbischen Turngemeinden schließen sich an den in Hanau gegründeten Deutschen Turnerbund unter der Art an, daß sie unter sich vereinigt bleiben und durch ihre geschäftsführende Gemeinde und dem Vorort verkehren.“
 

Für den damals 22 Jahre alten Tübinger Jurastudenten Theodor Georgii war nicht die Vereinigung der schwäbischen Turngemeinden das wichtigste Ergebnis des Turntages, sondern der Anschluss zum einen an den Deutschen Turnerbund und zum anderen an die im Lande gebildeten „Bürgerwehren“ - „wie es an einigen Orten schon geschehen ist. Als Ersatz für die Büchse wird die Sense anempfohlen, als Seitengewehr das Beil.“ Dieser Anschluss der Turnvereine an die Bürgerwehren sollte jedoch „mit Wahrung ihrer Selbständigkeit“ geschehen, betonte Georgii in seinem Bericht über den Esslinger Turntag, so dass eigene Turnriegen („Züge oder Fähnlein“) innerhalb der Bürgerwehren aufgestellt werden sollten. Damit wollten die schwäbischen Turner einem Ziel näherkommen, das nach Georgiis Auffassung mit dem württembergischen Gesetz über die Bürgerwehren nicht erreicht wurde: „eine möglichst wirkliche Volksbewaffnung“. 
 

Die weiteren Beschlüsse des Esslinger Turntages zeigen ebenfalls, dass es den Turn­ und Gründungsvätern des Schwäbischen Turnerbundes vor 150 Jahren um mehr als bloße Leibesübungen ging. „Der dritte Punkt war die Verwirklichung von volkstümlichen Festen“, berichtete Georgii. Dies könne dadurch geschehen, dass das bereits bestehende Cannstatter Volksfest, „durch Hinzuziehung der volkstümlichen Kräfte der Sang-, Turn- und Schützenvereine“ zu einem „wirklichen Volksfeste“ gemacht würde, „indem so sich hoffen läßt, unser gesunkenes Volksleben wieder zu heben.“ Ringen, Wettlauf, Werfen und der gleichen Übungen sollten die Turner auf diesem Volksfest vor allem zeigen, „ähnlich den Spielen des Altertums“. Außerdem sei ein Antrag gestellt worden, den „Fünfzigerausschuß“ (d.h. das in Frankfurt seit März 1848 tagende „Vorparlament“) aufzufordern, „er möge dahin wirken, daß das ‚fremde‘ Militär aus Baden zurückgezogen werde, damit das badische Volk seine Regierungsform frei gestalten könne“; dieser Antrag wurde jedoch „als nicht hergehörig zurückgewiesen“. Von den verschiedenen Rednern sei hervorgehoben worden, so Georgii, dass sich „der Staatsbürger vorn Turner nicht trennen lasse“. Selbst wenn einige Turner der „republikanischen Richtung“ nahestünden, sei es nicht berechtigt, die Turner insgesamt „als Freunde des Umsturzes zu bezeichnen“. Die Turner und die Turnvereine seien vielmehr bestrebt, „vaterländischen Sinn zu pflegen“. 
 

Am 1. Mai 1848 strahlte die Sonne über Esslingen. Der Turntag fand bei den Esslinger Bürgern - „namentlich auch von seiten der Jungfrauen“ - so großen Anklang, daß am Nachmittag eine Störung der Verhandlungen eintrat. „Immerhin sind solche Versammlungen erfreulich als Beweis“, schließt Georgii seinen Bericht im „Turnblatt für und aus Schwaben“ (1852), „daß auch die Jugend danach strebt, den Forderungen der Zeit zu genügen.“
Der Schwäbische Turnerbund wurde nicht zufällig am 1. Mai 1848 gegründet. Im März 1848 war es im ganzen Land, besonders im Fränkischen, und auch im Nachbarland Baden zu revolutionären Unruhen gekommen. Die badischen Revolutionäre Hecker und Struve, beide Turner, probten den Aufstand. Struve rief zum „Sturz der Tyrannei, zur Begründung der Freiheit und zur Sprengung der Willkür“ auf. Liberale Bürger und Politiker hatten sich in zahlreichen Versammlungen getroffen und die „Märzforderungen“ formuliert: Pressefreiheit, Einführung von Schwurgerichten, Volksbewaffnung, Einberufung von verfassungsgebenden Versammlungen und Einsetzung von liberalen Regierungen. In Berlin war es zu Straßen­ und Barrikadenkämpfen gekommen, und der preußische König hatte sich vor den Gefallenen der Revolution verneigt. Seit Ende März tagte in Frankfurt das Vorparlament, das die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung, dem ersten frei gewählten Parlament in Deutschland, vorbereiten sollte. Es trat am 18. Mai zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. In Württemberg selbst war schon seit Anfang März Pressefreiheit gewährt worden. Am 9. März wurde das liberale Ministerium Römer berufen, und Ende April hatten sich in Göppingen Liberale und Demokraten auf einer großen Volksversammlung getroffen, um eine gemeinsame Organisation zu gründen.
 

Die schwäbischen (und deutschen) Turner fühlten sich als Teil dieser Bewegung. Viele waren aktiv an den Ereignissen der Revolution beteiligt. „Turnen“ bedeutete damals mehr als bloße Leibesübungen - es hing, wie Georgii sagte, mit den „Forderungen der Zeit“ zusammen, denen auch sie „genügen“ wollten.
 

Das am häufigsten verwendete Wort im Bericht Georgiis über die Gründung des Schwäbischen Turnerbunds ist „Volk“: Turnen war Teil einer Volksbewegung, mit dem Ziel, dem Volk zu seinem Recht zu verhelfen, damit es frei und selbständig über das eigene Schicksal entscheiden kann. Deshalb schlossen sich die Turnvereine in Württemberg zu einem „Bund“ zusammen, und deshalb traten die Vertreter dieser schwäbischen Turnvereine auch dem „Deutschen Turnerbund“ bei, der am 2. April in Hanau, ebenfalls unter Vorsitz von Theodor Georgii, gegründet worden war, um „gemeinsam“ für die Turnsache und für die Sache des Volkes eintreten zu können; deshalb sprachen sie sich letztlich auch für die „Volksbewaffnung“ und für die Befreiung des badischen Volkes aus. Mit all eiern wollten sie einen Beitrag zur Hebung des „Volkslebens“ leisten. Die Turnbewegung war damals eine Jugendbewegung, was nicht nur am jugendlichen Alter Georgiis selbst zu erkennen ist, sondern im Turnen zeigte sich, so Georgii, „daß die ,Jugend den Forderungen der Zeit genügen wolle. Die Turnbewegung war auch eine ‚Männerbewegung‘, bewundert von den Bürgern und nicht zuletzt auch von den ,Jungfrauen‘, die den Turnern Kränze flochten und Fahnen stickten und erst gegen Ende des Jahrhunderts selbst auch aktiv ‚turnten‘, d.h. Turnübungen machten.“
 

Nur an einer Stelle von Georgiis Bericht geht es um praktische Turnübungen selbst, sonst immer um mehr oder weniger „politische“ oder bürgerschaftliche Fragen des öffentlichen und kulturellen Lebens. „Ähnlich den Spielen des Altertums“ sollte auf dem Cannstatter Volksfest geturnt werden; also nicht an Barren und Reck, den Übungen, die Jahn „erfunden“ hatte und die seitdem als Turnübungen“ bekannt waren und gepflegt wurden, sondern einfache, „volkstümliche“ und athletische Übungen wie Ringen, Wettlauf und Werfen. Die Anlehnung an Übungen und Disziplinen der antiken Olympischen Spiele trug dazu bei, das Turnen als eine Form klassischer und damit ernst zu nehmender Körperkultur zu rechtfertigen; und zum anderen waren Gymnastik und Athletik Ausdruck des demokratischen Volkslebens der Griechen, also genau derjenigen Form der demokratischen Ordnung, die auch die schwäbischen (und deutschen) Turner anstrebten.


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