Michael Kuhn bei der Trampolin-WM in Sofia - Bild: Thomas Rösler

Eine Säule des Erfolgs: Trampolin-Trainer Michael Kuhn im Interview

Eine erfolgreiche Weltmeisterschaft geht für die deutschen Trampolin-Turner zu Ende. Matthias Pfleiderer vom MTV Stuttgart kehrt mit zwei Medaillen aus Sofia zurück, Tim-Oliver Geßwein, ebenso MTV Stuttgart, hat eine Medaille im Gepäck. Leonie Adam (MTV Stuttgart) kämpfte mit Schienbeinprobleme und konnte leider nicht im Synchron-Wettkampf mit ihrer Partnerin Aileen Rösler antreten. Im Einzel zog sie mit nur einer Übung ins Halbfinale ein und freute sich am Ende über Platz 11. Damit verpasste sie ganz knapp das Finale der besten Zehn.

Matthias Pfleiderer ist gemeinsam mit seinem Partner Fabian Vogel Weltmeister im Synchron und ließen damit die Konkurrenz hinter sich. Im Team, bestehend aus Matthias Pfleiderer, Fabian Vogel, Tim-Oliver Geßwein und Matthias Schuldt, sicherten sie sich Bronze. Die erste Medaille im Team-Wettbewerb seit 2003.

Matthias, Tim-Oliver und Leonie trainieren am Bundesstützpunkt in Ruit und werden dort von Michael Kuhn trainiert, der seit 30 Jahren am Stützpunkt in Ruit tätig ist. Auch er trägt zum Erfolg seiner Athleten bei und motiviert und unterstützt die Turner auf ihrem Weg. Wir haben mit ihm gesprochen und wollten wissen, wie er seine 16. WM als Trainer erlebt hat, wie sein Tag bei einer WM aussieht und was er sich vom Bau der neuen Trampolin-Halle im Neckarpark in Stuttgart erhofft.

 

Herzlichen Glückwunsch zum Erfolg bei der WM in Sofia. Ihr kehrt nach Stuttgart mit insgesamt drei Medaillen zurück. Gold im Synchron für Matthias gemeinsam mit Fabian und Bronze im Team. Wie hast du die WM erlebt?
Die Stimmung in der Halle war bei den ersten Trainingseinheiten und teilweise bei den Qualifikationswettkämpfen eher etwas steril und „einsam“, da immer nur wenige Nationen gemeinsam Podiumstraining hatten und sich anfangs nur wenige Zuschauer in diese riesige Halle verirrt haben. Bei den Halbfinals und Finals änderte sich das, vor allem aber dadurch, dass die nicht am Wettkampf beteiligten Nationen ihre Athletinnen und Athleten lautstark angefeuert haben. Aber auch innerhalb unseres Teams verbesserte sich die Stimmung immer mehr, da wir vor allem stabile Wettkämpfe und gute Leistungen auf das Tuch bringen konnten und uns mit der Teammedaille der Männer und dem krönenden Abschluss durch den Weltmeistertitel von Matthias und Fabian im Synchron ordentlich belohnt haben. Da es am Ende dieser WM kein Bankett gab, waren wir am Abend mit dem Team in einem bulgarischen Restaurant und haben einen sehr schönen, gemütlichen Ausklang genossen.

Wie bereitest du dich als Trainer auf die WM vor?
Als Trainer war dies meine insgesamt 16. WM. Zwölf davon habe ich als verantwortlicher Cheftrainer geleitet, vier zusammen mit der neuen Cheftrainerin Katarina Prokesova. Als leitender Trainer sieht die Vorbereitung etwas anders aus, weil es im Vorfeld deutlich mehr zu organisieren gibt. Ich selbst beschäftige mich frühzeitig mit den Zeitplänen, Startreihenfolgen, der Konkurrenzsituation und soweit möglich mit den Gegebenheiten vor Ort. Meist fertige ich einen Wochenplan für das Team an, aus dem die Athleten und Betreuende die relevanten Informationen auf einen Blick übersichtlich dargestellt bekommen. Selbst versuche ich, durch Ausgleichssport einigermaßen fit und frisch zu sein, um rund um Training und Wettkampf die entsprechende positive Ausstrahlung an den Tag legen zu können. Aber vor allem spreche ich sehr häufig und regelmäßig mit meinen eigenen Sportlern über ihr Befinden, ihre Form, ihre Einstellung zum Wettkampf. So kann ich herausfinden, was in den letzten Tagen vor Abreise und vor Ort noch nötig ist, um die durchschnittliche Trainingsleistung im Wettkampf abrufen zu können.

Bist du nervös, wenn die Turner und Turnerinnen ans Gerät gehen?
Das ist sehr unterschiedlich, aber wenn es im Einzel um den Einzug ins Halbfinale oder möglicherweise um einen Finalplatz geht, dann schlägt mein Herz schon bis zum Hals und die Anspannung im Körper macht sich in der Muskulatur und manchmal auch im Nacken und Kopf bemerkbar. Die Kunst ist, sich das nicht ansehen zu lassen und weiterhin eine nach außen positive und sichere Ausstrahlung an den Tag zu legen. Beim Synchronturnen bin ich vor allem bei Matthias und Fabian eher ruhig und „entspannt“, da die beiden selbst genau diese Sicherheit ausstrahlen. Etwas mehr aufgeregt bin ich bei Tim-Oliver mit seinem Partner, da sie zwar ebenfalls ein großes Potenzial mitbringen, aber nicht ganz so stabil sind.

Was ist deine Aufgabe während einer Übung?
Während der Übung selbst stehe ich mit der aufgelegten Sicherheitsmatte an der Längsseite des Trampolins, um mögliche Abbrüche oder Stürze im Notfall abzufangen und abzumildern. Außerdem muss ich immer wissen, an welcher Stelle sich der Athlet in seiner Übung befindet. Für den Fall, dass der Sportler den Ablauf der Übung ändern muss (z.B. wenn er zu nah an den Rand kommt), muss ich gegebenenfalls kurz vor Ende die richtige Zahl der Sprünge zurufen. Kurz vor der Übung stehe ich meist recht nah am Athleten, um eine Verbindung zu signalisieren und meine (scheinbare) Ruhe und Sicherheit mit dem Athlet zu teilen. Oft sage ich noch einen kurzen Satz, aber auch das ist individuell sehr unterschiedlich.

Leidest du mit den Athleten, wenn eine Übung nicht klappt, wie erhofft?
Natürlich teilt man Freud und Leid mit „seinen“ Athleten sehr intensiv. Die Wettkampfübung stellt in gewisser Weise meine Arbeit mit dar: man hängt sehr viel Intensität, Gedanken, Planung und Trainingsarbeit über Monate, ja meist über Jahre in die Vorbereitung auf Wettkampfhöhepunkte. Und je besser man seine Athleten kennt, desto näher gehen einem Trainer die Ereignisse und Ergebnisse.

Wie sieht der Tag eines Trainers bei einer WM aus?
Regelmäßig am Abend besprechen wir im Team den Ablauf des kommenden Wettkampftages. Das Aufstehen, die Mahlzeiten und die Uhrzeiten für die Erwärmung und den Wettkampf an sich bestimmen den Tagesablauf. Dieser Ablauf ist immer am ersten Wettkampftag, wenn alle ihre Einzelqualifikation turnen, sehr eng getaktet und muss genauestens durchgeplant sein. Oft befindet sich ein Sportler im Wettkampf, während sich der nächste im Warm-up Bereich auf seinen Wettkampf vorbereitet. Das kann auch mal hektisch werden. Ansonsten versuche ich, wie oben beschrieben, selbst einen „guten“ Tag zu haben mit ausreichend Schlaf vorher, vernünftiger Ernährung zwischendurch und dem Beibehalten einer optimistischen und sicheren Einstellung und Ausstrahlung.

Entscheidet ihr gemeinsam, welche Übung der Athlet turnt?
Selbstverständlich stimme ich mich (auch die anderen Heimtrainer) mit der Cheftrainerin über die geplanten Übungen ab. Diese ergeben sich aus der Trainingsarbeit die letzten 4-6 Wochen vor dem Höhepunkt, inklusive der Vorbereitungswettkämpfe. Über die wöchentliche Trainingsdatendokumentation (inklusive Videoaufnahmen) erhält die Cheftrainerin einen guten Überblick über die Anzahl und Qualität der kompletten Trainingsübungen, sowie über die Anzahl der benötigten Versuche. Es wird die Kür zum Tragen kommen, die die beste Mischung aus hoher Wahrscheinlichkeit des Durchturnens und der Erfolgsaussichten bietet. So wird bei unseren besten Athleten manchmal nicht die schwierigste Kür für die Qualifikation gewählt, wenn der Einzug in das Halbfinale mit einer sicheren Variante wahrscheinlich ist. Für den Einzug in ein Finale muss allerdings öfter alles auf eine Karte gesetzt werden, um die Chance dafür überhaupt herzustellen.

Jahrelang gab es keine großen Erfolge im Trampolin zu verzeichnen. Dieses Jahr läuft es rund – besonders im Synchron. Wie kommt das?
Bei dieser Frage muss ich vorsichtig sein und gut überlegen, was ich von mir geben darf und kann. Grundsätzlich war Deutschland traditionell im Synchronturnen immer sehr erfolgreich. Als in der olympischen Einzeldisziplin die großen Erfolge ausblieben und sich für die olympischen Spiele 2016 nur noch Leonie Adam qualifizieren konnte und die Männer nicht, hat der damalige Sportdirektor entschieden, dass wir nur noch in der olympischen Einzeldisziplin international auftreten dürfen. Synchron und Team war also für fast fünf Jahre ausgesetzt. Das ging so weit, dass 2017 nur noch ein Sportler zur WM fahren durfte. In diesem Zeitraum ist aus meiner Sicht so einiges bei Trainern und Athleten kaputtgegangen und wir erholen uns nur langsam davon. Wir brauchen nicht verhehlen, dass in der Einzeldisziplin der Anschluss an die Weltspitze immer größer wurde. Andererseits hängen die Trauben für uns auch sehr hoch, können sich am Ende doch nur 16 Frauen und 16 Männer für die olympischen Spiele qualifizieren. Bei dieser WM waren 100 Männer und 75 Frauen am Start und mindestens die Hälfte davon hat einen sehr hohen Leistungsstand. Und dennoch: mit Platz 10 von Fabian Vogel und Platz 11 von Leonie Adam waren wir bei dieser WM wieder sehr nah dran am Einzelfinale. Wir arbeiten uns Stück für Stück wieder an die erweiterte Weltspitze heran und können zurecht hoffen, bei der Qualifikation für Paris 2024 mitzumischen.

In meinem Verständnis entsteht (individuell zu definierender) Erfolg nicht zufällig und ist äußerst selten ein Produkt in einer Gleichung, wo „Glück gehabt“ eine zentrale Rolle spielt. Relativer Erfolg eines Athleten entsteht durch eine langfristige und beharrliche Aufbauarbeit, in der immer große Wellentäler durchgestanden werden müssen und dabei die Freude an diesem als persönlich als sinnvoll empfundenen Tun niemals über längere Strecken verloren gehen darf. Gepaart mit einem tiefen gegenseitigen Vertrauen, das auch in schwierigen Situationen und gerade bei Misserfolgen erst recht auf allen Seiten spürbar bleiben muss. Das betrifft nicht nur das Verhältnis Trainer-Athlet, sondern auch von „oben herab“, von den verantwortlichen Verbandsvertretern, vom DOSB usw.

Aileen hat jahrelang in Ruit trainiert. Tritt auch im Synchron gemeinsam mit Leonie an. Wieso hat sich nach Bad Kreuznach gewechselt?
Aileen Rösler hat für sich entschieden, dass sie in einer neuen Umgebung mit einer anderen Trainingsgruppe neue Impulse für ihre Laufbahn setzen möchte. Bei der WM 2021 in Baku musste sie kurz vor der Abreise passen, weil sie Probleme mit der Koordination von Sprüngen bekommen hatte. Während unserer Abwesenheit hat sich der Kreuznacher Trainer Steffen Eislöffel intensiv um sie bemüht und in der Folge hat Aileen die Entscheidung für einen Wechsel getroffen.

In Stuttgart wird eine neue Trampolinhalle gebaut und damit wird der Bundesstützpunkt von Ruit nach Stuttgart in Neckarpark verlegt. Was erhofft ihr euch durch den Wechsel?
Die Halle in Ruit ist marode, vor allem die Neben- und Sanitärräume. Der WLSB als Träger der Sportschule hat schon 2, 3 Jahren entschieden, dass die Halle nicht mehr saniert werden soll, sondern nach unserem Umzug abgerissen. Vom Wechsel an den Spitzenport-Standort beim KTF erhoffen wir uns eine ganze Menge. Vor allem wollen wir mit den Trainern des KTF eng zusammenarbeiten und unsere Stärken gegenseitig in die Ausbildung von jungen Turnern einbringen. Auch die Nähe zum Verband, zum OSP mit seinen ganzen Serviceeinrichtungen, dem Kraftraum und auch die Nähe zu den Eliteschulen des Sports bringen auf lange Sicht eine Entlastung der Athleten, eine Zeitersparnis und eine optimale Betreuung. Auch international hoffen wir auf eine Strahlkraft der neuen Halle, wo wir hoffentlich auch mit internationalen Partnern zusammenarbeiten können. Als Lehrgangsort und wissenschaftliches Zentrum wird die Halle so ausgestattet, dass ein modernes Training mit allen Unterstützungen möglich wird.

Oder ist die Halle in Ruit vielleicht doch der Garant für Medaillen bei Großereignissen?
Die Halle in Ruit war und ist immer noch ein sehr gut ausgestattetes Trainingszentrum für unsere Topathleten, aber auch für den Nachwuchs. Über die ganzen Jahre konnten wir die Bedingungen immer weiter verbessern und haben mit der Sportschule immer super zusammengearbeitet. Mit vier Trampolinen, einer Weichgrube mit Trampolin, einer Longe und vielen weiteren Trainingsgeräten haben wir nach wie vor in der Halle sehr gute Bedingungen. Die werden wir auch im kommenden Jahr, wenn es in die ersten Olympia-Qualifikationswettkämpfe geht, noch ganz dringend brauchen.

 

               

Mitch Kuhn mit seinen Stuttgarter Schützlingen v.l. Matthias Pfleiderer, Leonie Adam und Tim-Oliver Geßwein bei der Trampolin WM in Sofia

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