Epochen der Turnbewegung

Der Vormärz und die Revolution 1848/49

Die Ideen der Französischen Revolution wie politische Mitbestimmung der Bürger, verfassungsmäßig garantierte Rechte und - in Deutschland besonders ausgeprägt - der Wunsch nach nationaler Einheit ließen sich auf Dauer mit polizeilichen Maßnahmen nicht unterdrücken. Unter der Fassade biedermeierlicher Idylle brodelte die Unzufriedenheit und das Streben nach Emanzipation.

Die Turnbewegung, deren ureigenste Ziele auf das engste mit dem allgemeinen bürgerlichen Streben nach "Einheit und Freiheit" verwoben waren, reagierte daher sehr rasch auf das liberaler werdende Klima nach 1840. Schon Mitte der 1840er Jahre organisierten die Turner ihre ersten Turnfeste und bildeten ihre ersten Vereine. Auch die Gründung des Schwäbischen Turnerbundes 1848 ist ein Teil dieser Entwicklung, und als die politischen Veränderungen in die Revolution von 1848/49 eskalierten, nahmen auch die Turner aktiven Anteil.

Eine wichtige Gelegenheit, die Verbindung untereinander zu schaffen und zu pflegen, stellten für die Turner in den Zeiten nur sehr eingeschränkter Kommunikationsmittel die ersten Turnfeste dar. Sie waren sowohl Turnerversammlungen, auf denen diskutiert und Weichenstellungen beschlossen wurde, als auch Volksfeste ähnlich den Nationalfesten der französischen Revolution, die sportliche Wettkämpfe und Spiele einschlossen. Als Ausdruck der nationalen Gesinnung umrahmten die Turner ihre Übungen mit patriotischen Liedern und Reden. Der politische Gehalt der ersten Turnfeste war deutlich erkennbar.

Das erste regionale Turnfest der Schwäbischen Turner fand 1845 in Reutlingen statt. Das ein Jahr später abgehaltene Turnfest in Heilbronn sprengte bereits den regionalen Rahmen und konnte mit Turnern aus Hamburg, Sachsen, Thüringen, Hessen und Baden schon den Rang eines ersten nationalen Turnertreffens einnehmen. Die Ereignisse von 1848/49 ließen eine Pause eintreten. Erst 1850 hielt der Schwäbische Turnbund in Ulm das nächste regionale Turnfest ab, das dann die noch heute fortgesetzte Tradition der Landesturnfeste begründete.

Hatten die Anhänger der Turnbewegung sich in den ersten drei Jahrzehnten seit Jahns Hasenheide 1811 überwiegend als freie Turngemeinden um Turnplätze oder Turnanstalten (eine Art privater Turnschulen) versammelt, griffen sie in den 1840er Jahren eine neue Organisationsform auf: den Verein. Nach der Auflösung der ständischen Ordnung suchten die Bürger in der freien Vereinigung Gleichgesinnter einen Rahmen für ihre politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt geselligen Aktivitäten. Nach selbst ausgearbeiteten Statuten wollten sie sich verwalten und auf demokratische Weise entscheiden.

Die ersten schwäbischen Turner, die 1843 diese für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Organisationsform des Vereins für sich wählten, waren die Stuttgarter und Reutlinger. In den Jahren der Revolution, in denen es nach Gewährung der Vereinsfreiheit eine regelrechte Gründungswelle gegeben hatte, bestanden in Württemberg fast 80 Turnvereine. Seine volle Ausprägung erlangte das Vereinswesen im Kaiserreich.

1846 Aalen

1847 Metzingen (G)

1847/48 Altenstadt (G)

 

1846 Münsingen (G)

1848 Altensteig

1848 Murrhardt (G)

 

1848/49 Mengen

1846 Backnang

1848 Balingen

 

1847 Nagold

1823 Beilstein (G)

1848 Neuenstein

 

1848/49 Benzingen

1845 Neuenstadt (G)

1847 Biberach (G)

 

1848 Bietigheim

1849 Bingen (b. Sigmaringen)

1848 Obersontheim

 

1847 Blaubeuren (G)

1848 Öhringen (G)

1845 Böblingen (G)

 

1848 Ostrach

1848 Buchau

1848/49 Bühlerthann

 

1847 Ravensburg

1843 Reutlingen (G)

1846 Calw (G)

 

1848 Riedlingen

1846 Cannstatt (G)

1847 Rottweil

 

1846 Crailsheim

1848 Saulgau

1848 Dettingen/Erms (G)

 

1846 Schorndorf (G)

1848 Donzdorf

1848 Schussenried

 

1848 Sigmaringen

1848/49 Ebingen

1843 Stuttgart (G)

 

1848 Ehingen/Donau

1846 Ellwangen

1848 Tettnang

 

1848 Eningen u.A. (G)

1845 Tübingen (G)

1845 Esslingen (G)

 

1846 Ulm (G)

1848 Friedrichhafen

1848 Untersteinbach

 

1846 Urach (G)

1846 Gaildorf

1846 Geislingen (G)

 

1848 Waldenburg

1844 Gmünd (G)

1848 Waldsee

 

1844 Göppingen (G)

1849 Wangen

1848 Wasseralfingen

 

1844 Hall (G)

1848 Weil der Stadt

1846 Heidenheim (G)

 

1847/48 Wildbad

1845 Heilbronn (G)

1848 Winnenden (G)

 

1848 Herrenberg

1847 Heubach

1816 Hirsau

 

1846 Isny (G)

1848/49 Kirchheim

1847 Knittlingen

 

1846 Künzelsau (G)

1848/49 Langenau

1849 Leonberg

 

1847 Leutkirch i.A.

1848 Lorch (G)

1846 Ludwigsburg (G)

 

1845 Nürtingen

     
       

(G)=Gründungsvereine

     

Das Selbstverständnis der Turner als Nationalbewegung, die den gesamtdeutschen Staatsverband zum Ziel hatte, bedeutete konsequenterweise auch, dass sie selbst einen gesamtdeutschen Aktionsradius anstrebten. Anfang April 1848 gelang es ihnen, in Hanau einen ersten Deutschen Turnerbund zu bilden. Dies war für die Schwäbischen Turner das Signal, sich nun ihrerseits zu vereinigen und sich gemeinsam dem Deutschen Turnerbund anzuschließen. Schon geraume Zeit hatten sie einen Zusammenschluss verfolgt und 1847 mit der Gründung des Mittleren-Neckar-Städte-Gaus als den ersten Turngau einen wichtigen Schritt getan, aber es bedurfte des politischen Klimas von 1848 und der Tatkraft eines Theodor Georgii, am 1. Mai 1848 in Esslingen mit 32 Vereinen den Schwäbischen Turnerbund schließlich zu gründen.

Zweck des neuen Bundes - über den Beitritt zum Deutschen Turnerbund hinaus - war der Anschluss an die "Bürgerwehren", die sich im Zuge der Revolution gebildet hatten, und die Durchführung von Veranstaltungen "zur Hebung des gesunkenen Volkslebens". Geleitet wurde der Schwäbische Turnerbund nach dem Prinzip des wechselnden Vorortes, das erst mit der Einordnung des "Bundes" als "Kreis XI" der Deutschen Turnerschaft aufgegeben wurde.

Zur gesamten Gründungsgeschichte

Als im Februar 1848 in Paris erneut eine Revolution ausbrach, sprang der Funke bald nach Deutschland über. Anfang März 1848 kam es in vielen Regionen - auch in Württemberg - zu Aufständen und Bürgerversammlungen, auf denen die Einheit und demokratische Rechte gefordert wurden. Ein Großteil der Turner bewaffnete sich und schloss sich den neu gebildeten Bürgerwehren an. Noch im März/April 1848 gab es erste Zugeständnisse des württembergischen Königs, und im Mai 1848 trat eine deutsche Nationalversammlung zusammen. Die schwäbischen Turner, von denen nur wenige eine radikale Position verfolgten, konnten sich in ihrer gemäßigten Haltung vorerst bestätigt sehen.

Als die erste gesamtdeutsche Verfassung im Frühjahr 1849 am Widerstand der Monarchen jedoch zu scheitern drohte, entschloss sich ein Teil der schwäbischen Turner wieder zur bewaffneten Erhebung. Die berühmt gewordene Heilbronner Turnerwehr musste jedoch wie alle anderen die Niederlage der Revolution von 1848/49 hinnehmen und ihren Einsatz mit Verhaftung oder Emigration bezahlen. Die Folge des Scheiterns war ein starker Niedergang der Turnbewegung und ihr Rückzug in gemeinnützige Tätigkeiten wie den Aufbau von Feuerwehren.

Dem Scheitern der national-demokratischen Revolution konnten politisch aktive Turner einer Verhaftung oft nur durch Auswanderung entgehen. Zuflucht boten vor allem die nahe Schweiz und die demokratischen Vereinigten Staaten vorn Amerika. Nicht immer war die Auswanderung endgültig. Besonders aus der Schweiz kamen einige wieder in ihre Heimat zurück, nachdem sich die Wogen geglättet hatten. Aber gerade in den Vereinigten Staaten setzten die emigrierten Turner nachhaltige Impulse für den Aufbau des dortigen Turnvereinswesens. Noch 1848 gründeten sich in Cincinnati, New York und Philadelphia erste deutsche Turnvereine. Nicht selten konnten sie hier in der neuen Welt die politischen Ziele des Turnens besser verwirklichen als in Deutschland, wo die Turnbewegung einen konservativen Kurs einschlug. Die Verbindung zwischen den beiden Turnbewegungen riss nie ab, die Amerikakontakte gehörten lange zu den lebendigsten internationalen Turnbeziehungen.

Die Zeit nach der gescheiterten Revolution brachte eine neuen Phase der Repression. Turnvereine konnten einer Auflösung nur durch deutliche Distanzierung von allen politischen Zielen entgehen und mussten polizeiliche Überwachung hinnehmen. Vor allem ihr Engagement für die Gemeinschaft konnte ihre gesellschaftliche Funktion festigen. Ein ideales Tätigkeitsfeld für die körperlich kräftigen und gewandten Turner bot sich dafür bei den Feuerwehren an. Das Feuerlöschwesen war Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in kleinen Städten und auf dem Land völlig unterentwickelt, und der Beitrag der Turner zu Gründung und Ausbau der freiwilligen Feuerwehreinheiten war grundlegend. Noch weit in die Kaiserzeit hinein blieben Turner und Feuerwehr eng verbunden.

Wir sagen Danke

175 Jahre Leidenschaft für Bewegung ist nur dank starker Partner möglich. Im Rahmen des Jubiläumsjahrs bedankt dich der Schwäbische Turnerbund herzlich für die Unterstützung der AOK Baden-Württemberg, der EnBW und der Sparda Bank Baden-Württemberg.

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